Ein Versuch einer Einführung: Ikone - Ikonographie- Ikonenzentrum

Dies ist ein Versuch, die Besucher des Ikonenzentrums in eine andere, in Westeuropa seit langem unbekannte Welt zu führen - besser gesagt: auf einen zwar nicht ganz vergessenen, aber von Unkraut eines schrankenlosen Intellektualismus überwucherten Weg - auf einen Weg, den wir verloren haben und doch bewusst oder unbewusst suchen.
Auf diesem Wege begegnen wir der  I k o n e . Vor der Trennung der Kirchen wurde sie auch im Westen verehrt, sie gehörte zum gemeinsamen Besitz und Reichtum des christlichen Glaubens. Die Ostkirche hat sie bis auf den
heutigen Tag verteidigt, behütet und bewahrt. Die Ikone hat Bildersturm und Verfolgung überdauert.
Die  I k o n e  ist Ausdruck der Liebe Gottes zu uns, und sie lebt aus unserer Liebe zu Gott. Eine bessere Deutung der  I k o n e  ist kaum möglich.

Aber reicht sie dem der Zivilisation verhafteten Menschen aus?
Will er nicht begreifen, was mit dem Verstand doch nicht erfasst werden kann?

Unsere vom Überfluss geprägte westliche Welt ist erbärmlich arm geworden. Begriffe und Werte sind durcheinander geraten. Die Gier, der Hunger nach Besitz, haben zu wollen und zu müssen hat vom Denken Besitz ergriffen.

Wo gibt es noch zweckfreies Denken? Wo ist das absichtslose Schauen der Dinge geblieben?

Versuchen wir, wenigstens einiges in die richtige Perspektive zu rücken. Nur so kommen wir der  I k o n e...und uns selbst näher.
Vergessen wir zunächst die gängigen Begriffe von Kunst und Bild! Die  I k o n e  war niemals signiert, niemals datiert. Der gläubige Mensch fragte nicht, wer sie geschaffen hatte, wie und wann und wo sie entstanden war. Der Meister trat hinter ihr zurück - hinter der Gegenwart des Heiligen, hinter dem Mysterium. Allein das Mysterium der
Autorität, kündend und fordernd dem Menschen gegenüber zu treten. Es zwingt zum Gebet und wirkt Erhörung, Erlösung, ja, Wunder.
Im so genannten künstlerischen Bild steht dagegen der Mensch dem Menschen gegenüber. Um ein Bild zu verstehen, braucht man Kenntnis und Einfühlungsvermögen. Oftmals ist die Signatur, das Wissen um den Maler, wertvoller als das Bild selbst. Bild auf griechisch heißt aber nicht "Ikon" sondern "Pinax". Die Ikone ist kein Bild, kein Gemälde. Der Ikonenmaler ist auch kein Maler, er ist Ikonograph - Ikonenschreiber. Die Begriffe der Malerei sind hier fehl am Platz.
Die Ikone gehört in die Kategorie des Heiligen. Heiligsein ist nicht das Werk des Menschen, sondern das Wesen Gottes; heilig ist alles nur in Beziehung zu ihm, heilig ist der Ort der Gegenwart Gottes. Die Gegenwart aber ist Gnade.
"Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, sei mir Sünder gnädig!" So betet der Gläubige, und er weiß, dass nicht schon Lebensstandard und soziale Stellung die wahre Erfüllung des Lebens schenken, vielmehr einzig die Gnade Gottes, die Kraft, die den Kosmos erfüllt und alles L e b e n  trägt.
Die  I k o n e , die den größten Akt der Gnade Gottes für uns beschreiben darf - nämlich seinen menschge- wordenen Sohn und zugleich mit ihm die in ihm verklärten Heiligen - sie wird selbst zum Träger der göttlichen Gnade. Nie wird Gott, der Vater, auf Ikonen dargestellt. Der Gläubige macht sich kein Bild von Gott, er sucht ihn nicht in der Menschenweisheit der Theologie, nicht in ausgefeilten theologischen Systemen. Er versucht nicht, ihn zu begreifen, sein Mysterium zu verstehen. Er sucht Gott in der Gegenwart seines Lebens.
In den orthodoxen Kirchen ist die göttliche Liturgie untrennbar mit den Ikonen verbunden; sie führen wie die Liturgie aus dieser vergänglichen Welt in jene andere Welt, wo der Tod keine Macht mehr hat. Dabei ist es ohne Belang, ob eine I k o n e griechischer oder bulgarischer oder russischer Herkunft ist, ob sie alt oder neu, rot oder blau in ihrer Grundfarbe ist.
Entscheidend ist das Fenster- besser noch: dass sie Brücke ist in die ewige Welt Gottes. So ist für den Gläubigen des Ostens auch das Gotteshaus nicht nur Haus des Gebetes und der Verkündigung, auch nicht nur ein Raum für den Vollzug der Liturgie, sondern vornehmlich der heilige Ort, die Stätte der Begegnung und Vereinigung des Schöpfers mit seinem Geschöpf.
Hier werden alle irdischen Dimensionen überschritten, hier fließen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in eins. So lebt auch die  I k o n e jenseits der Grenzen von Raum und Zeit, wenn sie Jesus Christus und die Heiligen verschiedener Räume und Zeiten in einer einzigen Dimension vereint.
Ihr Vordergrund ist das Wesentliche, nicht das Räumliche und nicht das Zeitliche. Der orthodoxe Gläubige trennt scharf zwischen himmlischer und irdischer Kirche. Für ihn ist die Gemeinschaft der Gläubigen auf Erden schon Gottes Reich gekommen, Gottes Herrschaft angebrochen. Hienieden ist der Anfang, dort ist das Ziel, die Vollendung.
So ist die Kirche mit ihren Ikonen keine Erscheinung irgendwo am Rande des Lebens, sie geleitet ihn vielmehr durch sein Leben - angefangen von seiner Geburt, bei jedem seiner Schritte, bei seiner Arbeit, auf seinen Reisen, in kranken und gesunden Tagen ebenso wie im Sterben und seiner Heimkehr zu Gott. Alles wird durch Gebet und Sakrament von der Kirche geheiligt.
Das Kirchenjahr mit Festen und Fasten bestimmt Rhythmus und Lebensweise des orthodoxen Volkes. Religion wird zum Leben, ist mehr als Dogmatik, Moral, Werke der Barmherzigkeit und Übungen der Frömmigkeit.
Die  L i e b e  ist eine mächtige Kraft. Sie vernichtet alles Böse, alles Dunkle und Feindliche. Im Lichte der Liebe wird alles schön.
Aus Liebe werden die Gebete der Liturgie eingehüllt in herrliche Gesänge, aus Liebe werden die
Kirchenräume kostbar und prachtvoll ausgestattet.
Liturgie ist kein pflichtgemäßer Vollzug, sie wird gefeiert in Jubel und dankbarer Freude. Unser Herr Jesus Christus hat Gott und Mensch in einer Person vereint. Kann es Größeres geben ? Worte reichen nicht aus, es zu schildern.
So greift der Gläubige zu den Farben und beschreibt die verklärte, geistige Schönheit dieses Mysteriums -keine irdische Schönheit, wie sie die Künstler malen - er beschreibt die verklärte, geistige Schönheit des Heiligsten aller Heiligen, des Sohnes Gottes, auch die seiner heiligen Mutter, der Gerechten des Alten Bundes, der Apostel.
Märtyrer und Kirchenväter.
Er beschreibt in Farben und Formen die Welt in der er lebt - eine Welt, in der das menschliche ICH überwunden ist durch das göttliche DU, in der das ICH sich kehrt zu dem Einen, der da spricht:

"ICH bin der Herr, Dein Gott."


So betet der Ikonenschreiber:" Heiliger! Heilige und erleuchte Du die Seele Deines Knechtes! Führe Du seine Hand, dass sie würdig und vollkommen die heilige  I k o n e  darstelle!" Die nach der Tradition noch in apostol- ischer Zeit geschaffenen Ur-Ikonen werden immer wieder "abgeschrieben".
Der Inhalt bleibt, nur die Formen wechseln. I k o n e n  sind dennoch keine Kopien, kaum zwei gleichen einander völlig.
Für den Ikonographen gilt als Gebot: Die dargestellten Person darf in keiner Weise verändert werden, und die auf uns gekommene Überlieferung ist treulich zu wahren. Innerhalb dieser Grenzen aber ist er ganz frei, ganz er
selbst. Der Ikonograph ist bestrebt, nach besten Kräften mit Gottes Hilfe die Ikonen so gut als möglich zu schreiben. Er darf seine Dienste nicht zum Geschäft erniedrigen. Ikonen sind kein Handelsobjekt...

Ein Wort zur Darstellung der Personen. Nehmen wir zum Beispiel die I k o n e der Apostel Petrus und Paulus. Wenn sie heute geschrieben werden, geschieht dasselbe wie in allererster Zeit. Das Persönliche, das Eigentümliche, das Wesentliche bleibt erhalten. Da sind nicht etwa Männer mit Bärten, Schlüsseln
und Schwert zu "malen", sondern die von altershehr bekannten "Gestalten". Das vertraute Antlitz der Apostel muss immer und überall wiedererkannt werden.
Ein anderes Beispiel: Nach alter Überlieferung ist die erste Muttergottes-Ikone vom Evangelisten Lukas selbst gemalt worden, und doch sind allein in Russland mehr als 200 Typen von Gottesmutter-Ikonen bekannt. Aber auf allen erkennt man die gleiche, unverwechselbare Gestalt, nicht etwa eine schöne Griechin oder Russin, auch keine Madonna mit lieblichem Bambino, sondern eben die Gottesmutter selbst, unberührt von allen Richtungen des Stils und des Geschmacks.
Die ikonographische Tradition entstammt dem Glauben der Urkirche. Himmlische Kirche und irdische Kirche sind für sie eins. Darum erhebt sich die  I K O N E aus der irdischen Wirklichkeit. Perspektive und Anatomie, die gewohnte Farbgebung, Licht und Schatten, Zeit und Ort verlieren ihre Bedeutung. In Wahrung der heiligen Tradition kann die Ikone nicht zu einem erdhaften, naturalistischen Bild werden. So werden auch die in der Malkunst so beliebten Ölfarben nicht verwendet. Die Ikonographie bleibt bei den Wasserfarben und hat
ihre eigene Farbtechnik. Durch schichtenweises Auftragen wird die durchscheinende, leichte, klare und doch so starke, leuchtende Farbgebung erreicht...(siehe Technik).
Die Gesichter der auf den  I k o n e n  dargestellten Heiligen strahlen Ruhe aus. Sie sind ernst, oft streng, erhaben über die Stimmungen des Augenblickes.
Große Augen blicken voll Güte, mitunter auch mit etwas Traurigkeit auf unser Leben, auf unsere Welt, auf unser Glück wie Elend. Die Gestalten sind trotz ihrer fast monumental zu nennenden Erscheinung wie schwerelos und scheinen im Raum zu schweben. Die Gewänder entsprechen meist Stand und Lebenszeit, ohne sich jedoch ins Detail zu verlieren. Sie sind in bestimmter Farbigkeit und umrahmen die Figur in leichtem, nur angedeutetem Faltenwurf...
So zielt das Wesen der Ikone weder darauf ab, menschliche Gefühle zu wecken, noch ästhetischen Genuss zu vermitteln, allein darauf, den ganzen Menschen mit all seine Eigenschaften auf den Weg der Gnade zu führen. Daher die majestätische Einfachheit, die Ruhe der Bewegung, der Rhythmus der Linien, die Farbenfreude und Harmonie des Ganzen. Rein intellektualistisch ausgerichtete Menschen mögen
in der  I k o n e  eine idealistische Fiktion und die Illusion einer Phantasiewelt sehen. Sie mögen sogar argumentieren, es sei uns nicht gegeben, das Reich Gottes zu schauen.
Ihnen bezeugt Johannes der Theologe in seinem Evangelium: " Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit."
Wie die Bücher der Heiligen Schrift werden auch die  I k o n e n  unverändert abgeschrieben. Unbeeinflusst von der Zeit offenbaren sie uns stets die gleiche ewige Wahrheit. Wie die Heilige Schrift spiegelt die  I k o n e  nicht menschliche Ideen und Vorstellungen über die Wahrheit wieder, sie teilt die Wahrheit selbst mit.
So spricht der heilige Basilios, der große Kappadokier, über die  I k o n e: "Was das Wort durch das Gehör mitteilt, dasselbe zeigt hier die  I k o n o g r a p h i e schweigend durch die Darstellung und durch die beiden Mittel, die einander begleiten, empfangen wir Erkenntnis von ein und demselben."
 

Zum Wesen und zur Bedeutung der Ikone
- zum Selbstverständnis des Ikonographen heute
- Aus einem Brief von Alexej Saweljew am 7. Januar 1962
an Herrn Pfarrer Henrichs in Essen/NRW:

"Durch den Besuch des Herrn Professor Gardner erfuhr ich, dass Sie eine Kirche mit der Ikonostase versehen wollen und nach Ikonenmalern suchen, dass aber alles was Sie bisher gesehen haben, nicht ihren Vorstellungen entspricht.
Bitte erlauben Sie mir, mit diesem Brief, den auch im Namen der heutigen "Ikonenmaler" schreiben möchte, unsere "Zunft" in Schutz zu nehmen.
Weil die I k o n e , die ganze Theologie in sich enthält, die uns offenbart ist, die ein Mensch kaum erfassen und bewältigen kann, ist der heutige Ikonograph schon ein besonders geplagter Wurm. Muss er doch das alles nicht nur verstehen und begreifen, sondern er muss es auch erklären, beschützen und verteidigen können, was bei früheren Ikonographen ja nicht nötig war!
Im vergangenen Jahr habe ich mit meinen Ikonen sieben Ausstellungen gemacht -von meiner Frau organisiert - und mit vielen Menschen über die " N e u e n   I k o n e n" gesprochen.
Könnten Sie mir bitte sagen, warum niemand auf den Gedanken kommt, einen Chagall, Kandinsky oder Picasso mit Leonardo da Vinci oder Michelangelo zu vergleichen? Und warum ist es für die meisten selbstverständlich, die "Neuen Ikonen" mit den Arbeiten von heiligen  Meistern gleich- zustellen?
Warum verstehen nur einige wenige, dass die  I k o n e  kein   K u n s t w e r k  und das Ikonen- schreiben ein  H a n d w e r k  ist und zum Gottesdienst gehört, und dass der heutige "Ikonenmaler" gezwungen ist, in moderner Atmosphäre zu leben und zu arbeiten, was keinesfalls passend ist? Sogar die Materialien, die man heute erreichen kann, sind nur zum  K u n s t w e r k -aber nicht für die "Herstellung" von Ikonen - geeignet!
Herr Prof. Gardner bat mich, Ihnen über meine Arbeiten zu berichten. Seit vielen Jahren versuche ich, die dem "Ikonenmaler" gestellten Aufgaben zu erfüllen und führe einen immer größer werdenden Kampf zwischen meinem Gewissen und den Kompromissen.
Ich bin gezwungen, einen regelrechten "Handel" mit meinen Ikonen zu treiben, nicht immer korrekte Aufträge auszuführen und die Ikone zu repräsentieren, was alles dem S i n n  der  I k o n e  widerspricht, aber eben  zeitgemäß!
Trotzdem freue ich mich und danke dem Schöpfer, dass ich mit meiner Arbeit ein Fenster öffnen darf in die überirdische Welt und Anregung zum Nachdenken geben kann.
Auch freue ich mich über die mir vermutlich gelungenen Wiederentdeckung der in Byzanz im 9.Jhd. verlorengegangenen und nur für die "Ikonenmalerei" gebräuchlichen Mal-Schreibweise mit durch- sichtigen Farben.
Es handelt sich um die vollkommen vergessene Technik, in der die Farben nicht nur wirken, sondern sich entfalten in ihrem unendlich reichen Eigenleben, persönlichem Charakter und Dynamik!
Herr Prof. Gardner bat mich auch, Ihnen meine Ansichten über die Ikone zu schreiben. Aus dem Verlangen Gott zu erleben und zu ihm zu kommen, ist das Gebet, die Liturgie und die Ikone entstanden. Die Ikone ist von Gebet und Liturgie nicht  trennbar. Nur in B e w e g u n g zu G o t t vergegenwärtigt sie uns den Weg-Sohn Gottes und Zubringerpfade - die Heiligen-, wo der "Ikonenmaler" ein Straßenkehrer ist mit der Aufgabe, den Schmutz fortzuwischen.
Und das ist es, was die Künstler nicht verkraften können und was der Unterschied zwischen  B i l d 
und  I k o n e in der heutigen Zeit der wachsenden geistigen Armut ausmacht, wo uns die Wege verloren gehen und die Welt sich in der Suche nach neuen Wegen verläuft.
Mögen wir unsere Kirchen und Wohnräume mit den wundertätigsten und kostbarsten Ikonen behängen, wenn wir an die, den "Dargestellten" nicht glauben, kann uns weder durch  alte  noch durch die  neuen   I k o n e n  geholfen werden.
Und wenn die  B e w e g u n g  zu  G o t t  die Voraussetzung für unsere Rettung ist, dann mag es die  L i e b e  allein ermöglichen...und aus Gottes-Liebe zu uns ist auch die  I K O N E geboren und aus unserer  L i e b e  zu G o t t  lebt sie. Ich schicke Ihnen nun einige Fotos und Artikel von und über
meine Arbeit und werde mich freuen, wenn Sie mich Ihre Gedanken darüber wissen lassen

(siehe Sein Gesamtwerk: Einzigste Ikonostase in einer kathol. Kirche in Deutschland,
St. Elisabeth Kirche in Essen-Frohnhausen und den Ikonenaltar in der St. Jodokus Kirche in Bielefeld)

 

Ein weiterer, höchst interessanter  Versuch einer Einführung ist das Referat von Pfarrer Gerhard Spelz, Bernkastel-Kues, das er im Rahmen der Vernissage und des Konzertes mit dem Klarinetten-Ensemble Carcoma der Hochschule für Musik in Köln  „Ikonen in concert“,
am 17.12.2000, 15Uhr im Mittelmoselmuseum Traben-Trarbach gehalten hat.
Zum Text, der basiert auf einem Tonbandmitschnitt, bitte Taste drücken.