Meine Damen und Herrn,
ich darf und ich soll und ich will Sie auch einführen in den Umgang mit Ikonen. Auf der Hinfahrt fiel mir ein, dass Freiherr von
Knigge sein Anstandsbuch mit „Über den Umgang mit Menschen“ betitelt hat. Um etwas ähnliches geht es hier. Wenn es nämlich um wirkliche Bilder geht, ist immer Umgang gefragt. Die kann ich nicht
einfach haben, die kann ich mir nicht einfach an die Wand hängen – Was wirkliche Bilder sind, die pflegen den Umgang mit den Menschen und umgekehrt.
Was für Bilder und Kunstwerke insgesamt gilt, das gilt dann auch für diese Bilder hier, für die Ikonen Ich muss Sie
an dem teilhaben lassen, was mir im Laufe meines Lebens zuteil geworden ist im Um- gang mit diesen Bildern – mal zufällig, mal bewusst!
Ich erinnere mich noch ziemlich gut, ich muss so 12/13 Jahre alt gewesen sein, da kam ein Kalender ins Haus, der
Michaels-Kalender, ein Kalender, den die Steyler Missionare jedes Jahr herausgeben. Da waren solche Bilder drin. Heiligenbilder, die sahen anders aus, als die ich bisher kannte. Fremd aber irgendwie haben
sie mich fasziniert. Sehr ernst und streng, aber keinesfalls abweisend. In den Formen sehr einfach, heute würde ich sagen, damals wusste ich das noch nicht, alles auf das Wesentliche reduziert. Aber nicht
naiv und nicht primitiv. Bunt waren sie, aber keinesfalls kitschig. Es waren meist Bilder aus Griechenland , aus Russland.
Ja, und was dann da war, was mich nicht mehr losgelassen hat, die Gesichter. Diese Augen. - Der Blick, der einfach einlädt
zurückzublicken, zurückzuschauen.
Wenn ich mir die Bilder anschaue, hat das die einfache Konsequenz, dass ich in die Augen sehe.
Das war in einer Zeit, wo die Wort- und Bildveröffentlichungen über Ikonen noch recht selten waren in unserem Kulturkreis. Und
zur Zeit meines Abiturs, Anfang der Siebziger, fand ich in einem Antiquariat einen Bildband über alte russische Ikonen. Von 100.—DM auf 30.—DM herabgesetzt, war das Buch für mich erschwinglich. Es
war reiner Zufall, dass ich mir dieses Buch kaufen konnte.
Aber dieses Buch hat mir dann eine weitere Tür aufgetan in diese Welt. Im Laufe der Zeit gewannen Ikonen in meinem Leben, meinem
Glaubensleben und Kunstempfinden immer mehr Raum. Ich weiß noch genau, wie mein Zimmer in der Studentenzeit aussah. Da waren zwei Postkarten, eine Christus- Ikone und eine Marien-Ikone und das 1.Kapitel des
Johannesevangeliums in einer Kalligraphie. Das waren für viele Jahre die einzigen religiösen Symbole oder Zeichen, in meinem Zimmer
Dazu kamen noch weiterführende Impulse, die ich von einem Professor während meines Studiums in Trier erhielt.
1979 lernte
ich dann einen Ikonenmaler kennen. Einen leibhaftigen: Alexej Saweljew. Durch einen Zeitungsartikel war ich auf ihn aufmerksam geworden, habe dann seine Ausstellung besucht, das war damals noch in Graach
gewesen. Ja, ich kann Ihnen sagen, was da in mir passiert ist, war entsetzlich. Ich dachte: „Was ist das denn?!“ Hell und grell war hier alles. Ich war etwas durcheinander, muss ich sagen. Ich war so
durcheinander, dass ich den Mut hatte, dem Maler das zu sagen.
Er war recht verständnisvoll - und das war er nicht immer bei Besuchern - das darf ich ruhig sagen- und er sagte mir dann:
Warten Sie zweihundert Jahre, dann sehen diese Ikonen auch so aus wie die „alten“. Dann sind die Farben
gedämpft durch die Patina, Firnis hat sich dann gebildet. Und es ist tatsächlich so: Wird eine alte
Ikone gereinigt, dann findet sich unter der früheren Schutzschicht, wo sich Ruß und Staub absetzt, eine intensive Farbe. Dazu kommt aber, dass es sich hier um Farben handelt, die nicht immer unserem
Farbempfinden entsprechen. So kennt man das auch bei alten Gebäuden, die restauriert werden sollen. Versetzt man sie in den ursprünglichen Zustand zurück, dann entspricht auch nicht immer unserem
Geschmack, weil die Farben eben anders sind. Er hatte mir dann auch erklärt, die Farben sollen von Freude künden, von Leben – so wie die Musik, die wir heute hier hören - sie muss nicht immer sakral sein. Da hat man sehr viel Leben und Freude gespürt. Sie
passt zu diesen Farben.
Und er hat mir dann noch weiter erklärt, dass gedämpfte Farben ihre Aufgaben nicht erfüllt hätten: nämlich etwas sichtbar zu
machen in den dunklen kalten Häusern und in den Kirchen, wo ja auch nur gedämpftes Licht war, kein Spot geleuchtet hat: Ich erfahre dann wie eine Ikone entsteht.
Die Bildtafel
Da ist zunächst nur einfach ein Brett so wie es in der Ausstellung – die Entstehung einer Ikone, die Genesis
einer Ikone, dort an der Schauwand – gezeigt wird.
Bei den alten Ikonen ist es grundsätzlich so, dass das Brett aus mehreren Hölzern zusammengesetzt und verleimt ist, ein
Brett aus einem Stück Holz würde sich zu sehr bewegen, da leimt man auch schon mal Hölzer zusammen, die in der Bewegung gegenläufig sind, und setzt dann auf der Rück- seite einen Riegel ein , der das
Arbeiten des Holzes verhindert.
Es würde sich werfen und das Kunstwerk wäre zerstört!
Heute – und da hat sich Alexej Saweljew wie fast alle Ikonenmaler den Stand der Entwicklung zu- nutze gemacht –
werden in der Regel Tischlerplatten benutzt, das ist verleimtes Holz, mit einer Furnierauflage. Diese verleimten Platten sind besser geeignet als Vollholz. für unsere beheizten Räume und Räumen, die
stärkeren Temperaturschwankungen ausgesetzt sind. Das merken Sie ja auch, wenn Sie einen alten Holzschrank in einem beheizten Raum stehen haben. Diese Tischlerplatten sind zunächst einmal gegen das Werfen
gesichert.
Die Malfläche
Die Malfläche wird aufgerauht, Leim wird eingestrichen, mehrere Schichten und auf diesen Leim kommt ein Gewebe,
Leinen oder anderes festes Gewebe. Das Gewebe wird wieder mit Leim bestrichen, das ist dann wie eine elastische Schicht, die mögliche Bewegungen auffängt, damit das Bild nicht beschädigt wird. Auf
diese Stoffunterlage wird dann der Malgrund gestrichen. Das ist in der Regel eine Kreide-Leim- Mischung, die wird in mehreren Schichten aufgetragen und zum Schluss dann blitzblank poliert, so dass sie dann ganz
glatt ist. Dieser satte weiße, glatte Untergrund leuchtet später durch die Farbschichten durch und lässt die Ikone so gewissermaßen von innen her erstrahlen.
Das ist bei den Ikonen von Alexej Saweljew in besonderer Weise festzustellen. Das unterscheidet sie auch von anderen Ikonenbildern.
Die Vorzeichnung
Die Unterlage ist fertig, weiß, poliert, dann wird die Vorzeichnung aufgebracht.
Das Motiv entwirft der Maler nicht selbst. Er gestaltet die Ikonen nach Vorlagen. Von daher ist er kein „Künstler“, der
etwas neues schafft.
So hat Alexej Saweljew immer abgewiesen, ein Künstler zu sein. „Ich bin ein Handwerker“.
Einen ganz unkünstlerischen Ikonenmaler gibt es trotzdem nicht. Seine Motive, findet er in den Malerhandbüchern. Das sind
Vorzeichnungen und Malanweisungen, die gesammelt sind über Jahrhunderte hinweg.
Diese Malerhandbücher leisten dreierlei:
1.
dass die Ikonen den Urbildern nahe sind. Sie sind nicht erfunden, denn für die Ikone gibt es lebendige Vorbilder, Heilige zum Beispiel. Von daher hat er mich fast fassungslos angeschaut, ob er für mich, als ich ihn fragte, eine Ikone meines Namenspatrons malen könne. Da sagte er: „Bringen Sie mir ein Bild, dann kann ich ihnen vielleicht eine Ikone malen.... Ich bin kein Schnitzer aus Oberammergau; der machte eine barocke Figur schnitzt, und sagt: ‚Das ist der Heilige sowieso oder sowieso. Da wurde mir deutlich, aha, hier geht es nicht um irgendein Gesicht, sondern hier geht es um die Gesichtszüge, welche die betreffende Person charakterisieren. Die Tradition des Ostens ist es, dass diese Gesichtszüge überliefert sind, die dann in Handbüchern gesichert wurden.
2.
Diese Malerhandbücher stellten zweites sicher, dass die Ikonen der Lehre der Kirche entsprechen. Das sind also nicht Bilder, die der privaten Phantasie einzelner Menschen entsprechen, sondern die Gemeinschaft der Kirchen hat sich auf die Darstellungsweise geeinigt. Das ist dann gerade wichtig, wenn es um die Feier- und Festtagsikonen geht, wo theologische Inhalte sichtbar gemacht werden.
3. Und zum dritten haben diese Handbücher auch die Aufgabe, dass ein gewisser technischer, künstlerischer Standard bewahrt bleibt und nichts in den
Kitsch abgleitet, was in den letzten hundert, zweihundert Jahren gerade in Russland und Griechenland war, da hat man so sehr den Barockstil, der hiesigen Zeit der Mode wegen entsprechend übernommen.
Die Treue zum Urbild
Wir sehen da natürliche Strenge, der Maler muss sich halten, an das was vorgegeben ist. Wir em- pfinden das
möglicherweise auch als Starre. Keine Entwicklung ist möglich.
Und der Ikonenmaler erklärt das dann ganz einfach: Wer das Evangelium abschreibt, versetzen wir uns mal in die Schreibstube, in
eines mittelalterliche Kloster, da wurden Bücher abgeschrieben, Wort für Wort, Zeile für Zeile, Seite für Seite, da gab es noch keine Druckkunst. Wer das Evangelium abschreibt, der bemüht sich den Text
genau und ohne Fehler, das zu tun. Er ist dem Urtext verpflichtet. Ein Ikonenmaler versteht sich daher als ein Schreiber: Ikonograph. Ikonenschreiber wäre dann auch vom Fach her das richtige Wort.
Da tut man sich etwas schwer mit dem Schreiben, wir denken dabei mehr an das Malen.
Der Ikonenmaler versteht sich als ein solcher Schreiber: Er schreibt das Evangelium ab und zwar in Form, in Farbe und Inhalt.
Und so wie ich einen Evangelientext nicht einfach verändern darf, darf ich diese Form nicht verändern. Ich muss mich an den vorgegebenen Text halten. Das wird zum Beispiel deutlich bei einem Ereignis und
Inhalten, von denen wir kein Bild haben....z.B. vom dreifaltigen Gott - den kann ich nicht darstellen, den hat niemand gesehen, der Vater hat sich nicht gezeigt. Der heilige Geist ist für uns auch ziemlich
unfassbar, wir haben kein Bild von ihm. Die Taube des heiligen Geistes ist lediglich die Möglichkeit, was die Bibel mit Geist meint sichtbar zu machen. Ein Vogel hält sich in der Luft, er wird von der Luft
getragen und das biblische Wort für Geist ist Luft und Atem und von daher ist die Taube. Wie will ich die Dreifaltigkeit darstellen?
Die Ikonographie greift zurück auf ein Ereignis das im Buch Genesis beschrieben wird: Abraham bekommt Besuch von drei Männern.
Aus dem Gespräch, das die drei mit Abraham führen, können wir erkennen, dass es sich um einen Besuch Gottes handelt.
Ich mach dies jetzt mal kurz und knapp: An dieses biblische Ereignis angelehnt, ist diese Szene entstanden die Sie auf dieser Ikone
sehen als Darstellung der Dreifaltigkeit in Gestalt dreier Engel. Der Maler muss sich an den vorgegebenen Text halten, denn nur die Treue zum Vorbild, zum Urbild macht die Ikone aus. Das heißt auch nicht
das Alter macht die Ikone aus. Nicht nur alte Ikonen sind echt. Ikonen sind immer echt , wenn sie in der Tradition hergestellt, gemalt und geschrieben sind.
Allein, dass Ikonen heute noch genutzt und gebraucht werden macht deutlich, dass nicht an der Vergangenheit festgemacht werden
kann, ob eine Ikone eine echte Ikone ist oder nicht.
Die Vorzeichnung auf einem Blatt Papier besteht nur aus wenigen Umrissen
– das können sie nachher auf der Dokumentation sehen –
Dann werden kleine Punkte in die Umrisse gestochen auf das Brett gelegt und mit Farbe bestäubt und so auf den Malgrund
übertragen. Dann werden in der Regel die Umrisse eingeritzt, - Saweljew hat das allerdings nicht gemacht-
gewissermaßen sind sie dann wie eine Orientierung, die nicht übermalt werden kann. Die Ritzungen zeigen weiterhin die Zeichnung.
Die Farben
werden aus bunten Erdsteinen hergestellt. Sie werden mit Bindemittel verrieben. Erde ist ja Sand, sind ja Kristalle. Das Grundelement sind also ganz winzige Farbkristalle mit denen gemalt wird. Dem wird Ei beigemischt, so entsteht eine wasserfeste, elastische und lichtechte Farbe, die sogenannte „Eitemp- era“.
Alexej Saweljew hat mir eingehend erklärt, warum das so ist. Ich kann das zwar nicht alles nachvollziehen, aber es leuchtet
physikalisch ein.
Er sagt: Gerade durch das Ei werden die Farbkristalle isoliert, jedes ist für sich. Von daher kann der Farbkristall Licht
aufnehmen und es dann weitergeben, brechen und für uns als Farbe sichtbar werden lassen.
Das sind die Grundbegriffe zunächst einmal, die da sein müssen, bevor es daran geht, dass eine Ikone gestaltet ist.
Wie das dann aussieht, sehen wir nach der Musik
(Teil I - Ende).
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