Die heiligen Ikonen in der Pfarrkirche
St. Elisabeth Essen -West

  1.   Ursprung und Sinn der Ikonen

„Er schuf den Menschen nach seinem Ebenbilde, als Gottes Abbild schuf er ihn.“ So lesen wir im ersten Buche Mosis, und im Neuen Testament steht das Wort: „Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe.“ Wohlgefallen, weil er das Bild des Vaters ist, weil der Vater sich in ihm abgebildet hat. „Philippus, wer mich sieht, sieht auch den Vater.“ Das ist Ursprung und Sinn der IKONE, des heiligen Kultbildes, das mit hineingenommen ist in den Kult, ja selbst Gegenstand des Kultes ist, in dem Gott und die Heiligen verehrt werden, das wesentlich zur orthodoxen Frömmigkeit gehört und das Gegenstand eines eigenen Festes ist, Fest der Ikonen. Wir haben in den letzten Jahrzehnten erfahren, dass wir selber reicher werden, wenn wir an dem Reichtum der Ostkirche, den wir neu entdeckt haben, teilnehmen. Sie ist ja den Ursprüngen näher. Zu diesem Reichtum gehört auch die heilige Ikone, oder wie sie auch genannt wird, die göttliche Ikone. Etwas ähnliches fehlt im Abendlande ganz. Der Westen hat kein Kultbild, es sei denn das Bild der „Immerwährenden Hilfe“, das eine original griechische Ikone ist. An deren großen Verehrung kann man aber ermessen, was unter Kultbild verstanden und erlebt sein will.

  2.   Die Darstellungen der Bildreihen.

Wenn wir die Kirche St. Elisabeth Essen-West betreten, dann fällt uns auf, dass vorne am Altare zu beiden Seiten in strahlendem Goldglanz eine Bilderwand steht, Ikonostase genannt. Hier haben — ein seltener Fall in der römischen Kirche — heilige Ikonen Platz gefunden: Zwei Reihen rechts und links, je eine Sechser- und eine Fünfer-Reihe. Die oberen 12 Ikonen stellen die Festtage des Jahres dar, nicht in historischer Folge, sondern in der Reihenfolge des Kirchenjahres. Sie sind auch malerisch aufeinander bezogen, so dass man sie nicht vertauschen kann. Es sind von links nach rechts diese Bilder: Mariä Geburt, Kreuzerhöhung, Christi Geburt, Epiphanie, Darstellung, Verkündigung, Palmsonntag, Ostern, Himmelfahrt, Pfingsten, Verklärung und Mariä Entschlafen. Diese Bilder haben meist ein kleineres Format. Sie sind hier überragt von einem schwarzen Querbalken, einem Architraf, der ganz aus zwei mächtigen Baumstämmen besteht, auf dem Silberplatten angebracht sind, die bei Sonnenlicht in vielen Farben changieren. Sie sind an den vier Ecken mit Bergkristallen befestigt und tragen in griechischen Großbuchstaben kunstvoll eingehämmert die Namen dieser zwölf Feste (siehe Abbildung).

Unten in Sichthöhe befindet sich als Brustbild und in größerem Format die Reihe bedeutungsvoller Heiliger. Zunächst von der Mitte aus gesehen nach links die allheilige Gottesmutter, die Evangelisten Lucas und Matthäus, unsere Pfarrpatronin St. Elisabeth und der Patron der östlichen Kirchenmusik Johannes von Damascus. Von der Mitte aus nach rechts: Christus der Allherrscher, die Evangelisten Marcus und Johannes, der Vorläufer Johannes und der Patron der westlichen Kirchenmusik, Papst Gregor der Große. Die Texte, die sie in der Hand halten sind diese: Bei den Evangelisten die Anfänge ihrer Evangelien. Matthäus: „Stammtafel Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams. Abraham war der Vater Isaaks, Isaak der Vater Jacobs, Jacob der Vater Judas, und seiner Brüder; Juda war der Vater des Phares und der Zar.....“ Lucas: „Schon viele haben es unternommen über die Ereignisse zu berichten....“ Marcus: „Anfang der Heilsbotschaft von Jesus, dem Messias, dem Sohn Gottes. So steht geschrieben Johannes: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort.“ Johannes Damascenus: „Deine siegreiche Rechte / hat sich in göttlicher Stärke verherrlicht / als allmächtige und unsterbliche /. Sie hat die Feinde zermalmt / und den Israeliten / den Weg durch die Tiefe neu geschaffen.“ Gregor der Große: „Zu dir erhebe ich meine Seele, mein Gott, auf dich vertraue ich. Laß mich nicht schamrot werden und laß nicht zu, dass meine Feinde mich verspotten; denn alle, die dich erwarten, sie werden nicht zuschanden Jesus Christus: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. Nehmt mein Joch auf euch und lernet von mir; denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen. So werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen; denn mein Joch ist sanft und meine Bürde leicht.“

 3.   Aufgabe der Bilderwand

 Diese kostbare Wand in Verbindung mit dem Architraf, grenzt optisch einen Raum ab, den eine besondere Heiligkeit eignet, der an sich nur von geweihten Personen betreten werden dürfte und eine Grenze darstellt zwischen zwei Welten, der göttlichen und menschlichen, der ewigen und zeitlichen. Diese Bilderwand (Ikonostase) ermöglicht eine Hierarchie der Räume, d. h. eine heilige Raumordnung mit Räumen verschiedener Grade ihrer Heiligkeit und ihrer Nähe zum Heiligtum, nicht wahllos betretbar, im Gegensatz zu vielen modernen Kirchen, die einen einstimmigen, uncharakteristischen, gewissermaßen planierten Raum haben.

Diese Bilder stehen in engster Beziehung zur hl. Liturgie. Dort wo die Bilder der hl. Evangelisten stehen, wird das Evangelium verkündet. Dort, oder in der Nähe der großen Meloden des Ostens und Westens singt die schola cantorum ihre heiligen Gesänge, und wo die Reihe der Festikonen sich befindet, werden die heiligen Feste in liturgischer Begehung gefeiert. Alles feiert also mit. Die heiligen Personen sind gewissermaßen präsent, gegenwärtig, die Festbilder sind die Transparente der himmlischen Liturgie, durchscheinend in ihnen, und an den entsprechenden Festtagen wird überdies noch das jeweilige Bild auf einem Pult mit Blumen umschmückt zur Verehrung ausgestellt als Ausdruck der Teilhabe an diesem Feste. Diese kostbare Bilderwand ist auch ein Ordnungsprinzip. Die heiligen Bilder sind nicht wie in manchen Kirchen des Westens zerstreut und oft unzusammenhängend an den verschiedensten Stellen und Säulen des Gotteshauses angebracht, sondern sind eine große Einheit, am Altare vereint und auf den Altar bezogen.

  4.   Prinzipien der Malweise

Die Plazierung und Ortung der hl. Ikonen läßt aber nur teilweise ihre Absichten ahnen. Sie werden deutlicher, wenn wir uns die Prinzipien ihrer Malweise ansehen. Es fehlt zunächst jede Perspektive. Ihre Komposition ist durchaus flächig. Zur Wahrung der Fläche trägt in höchstem Maße die sog. umgekehrte Perspektive bei, deren Fluchtpunkt sich nicht in der Tiefe der Darstellung befindet, sondern vor derselben, sozusagen mitten im Beschauer selbst. Die Ikone ist nämlich die Darstellung nicht eines verweslichen sondern eines verklärten, vom Gotteslicht strahlenden Leibes. Diese zu schmale Nase, der überkleine Mund, die großen Augen, alles ist nur eine bedingte Wiedergabe des Zustandes des Heiligen, dessen Sinne „verfeinert“ sind. Deshalb widerspricht alles, was an das verwesliche Fleisch erinnert, dem Wesen der Ikone; denn „Fleisch und Blut können nicht das Reich Gottes erben, auch wird das Verwesliche nicht erben das Unverweslich. So ist z. B. ein Rubensgemälde mit seinem prallen Fleisch ein Skandal für den Osten, ihm widerwärtig. Nun, man kann ja auch vor einem Rubensgemälde nicht beten.

 5.   Die Sprache der Ikonen

Wenn diese Sprache der Ikonen für uns fremd geworden ist und uns naiv, primitiv, vorkommt, so ist es nicht deshalb, weil die Ikone sich überlebt oder ihre Lebenskraft und Bedeutung verloren hätte, sondern deswegen, weil das Wissen selbst> von der Fähigkeit des menschlichen Leibes geistig geheiligt zu werden, bei den Menschen verloren ging. Die Kunst der Ikone ist im wahrsten Sinne heilige Kunst. Man wird sie deshalb nur schlecht und oft verkehrt beurteilen, wenn man von außen her an sie herantritt mit Maßstäben, die einer weltlichen, ganz auf das Menschliche eingestellten Kunst entliehen sind. Die Ikone erfordert eine ganz andere Bildbetrachtung. Wenn man sie mit abendländischen Augen anschaut, gibt das ein ganz falsches Bild. Der berühmte Ikonenkenner Trubetzkoi sagt so schön: Man müsse ehrfurchtsvoll vor einer hl. Ikone stehen und abwarten, bis sie uns ihrer Anrede würdigt. Die Ikonographie zeigt in Farben, was das Wort in den geschriebenen Buchstaben verkündet. Sie ist eine Theologie in Bildern. Die Ikone ist ein Lebensweg, sie ist Gebet. Daher ihre Hieratik, ihre majestätische Einfachheit, die Ruhe ihrer Bewegungen, die Ehrfurcht des übermäßig gebeugten Rückens. Daher der Rhythmus ihrer Linien und die Freude ihrer Farben, die einer vollkommenen inneren Harmonie entfließen. Das göttliche Licht durchdringt alles. Es gibt auf den Ikonen keine Lichtquellen, die das Dargestellte von der einen oder anderen Seite her beleuchten, etwa wie bei Rembrandt. Die Gegenstände werfen demnach auch keinen Schatten; denn es gibt im Reiche Gottes keinen Schatten. Alles ist von Licht überflutet. Die Menschen gebärden sich nicht hastig, ihre Bewegungen sind nicht zufällig, nicht unordentlich. Sie sind an einer sakramentalen Handlung beteiligt, und jede ihrer Bewegungen trägt einen liturgischen Charakter. Dazu gehört auch die Blickrichtung der Ikonen. Sie reißen sich nicht von der Welt los und schließen sich nicht in sich selber ein. Nein, ihre Hinwendung zur Welt wird noch dadurch hervorgehoben, dass die Heiligen gewöhnlich unmittelbar auf den Betenden schauend dargestellt sind, oder doch zu Dreiviertel nach ihm gewendet. Sehr selten werden sie im Profil gesehen. Das Profil unterbricht gewissermaßen die Verbindung, es ist wie ein Anfang von Abwesenheit. Es wird nur in Darstellungen von Leuten geduldet, die noch nicht zur Heiligkeit gelangten. Aber auch die Farben haben eine besondere Bedeutung.

 6. Die Farben der Ikonen

 Jede Farbe hat an ihrer besonderen Stelle ihre besondere sinnvolle Bedeutung. Leider haben wir den Schlüssel verloren zum Verständnis dieser Welt der Farben. Der Ikonenmaler benutzt sie alle, um den jenseitigen Himmel von unserem diesseitigen zu trennen. Wir finden in der alten russischen Malerei alle diese Farben in ihrer symbolischen jenseitigen Bedeutung. Darin liegt der Schlüssel zum Verständnis der unaussprechlichen Schönheit der Farbensymbolik der Ikonenmalerei. Ihr Leitmotiv liegt anscheinend im Folgenden: Die Symbolik der Ikonen ist an erster Stelle eine Sonnenmystik in der höchsten geistlichen Bedeutung dieses Wortes. Wie schön auch die anderen Himmelsfarben sind, dennoch bleibt das Gold der Mittagssonne die Farbe aller Farben, das Wunder der Wunder.

  7.  Die Qualitäten des Ikonenmalers

 So ist denn die Kunst der Ikonen im wahrsten Sinne heilige Kunst. Es gibt in der Tat Ikonenmaler, die als Heilige verehrt werden. Der Ikonenmaler arbeitet ja nicht für sich und nicht für seinen Ruhm, sondern zur Verherrlichung Gottes. Deshalb wird auch eine Ikone nie unterschrieben. (Wie bei modernen Künstlern.) Der Ikonenmaler oder -schreiber begleitet sein Werk mit Fasten und Beten. Daher auch die Unentbehrlichkeit seiner ständigen Teilnahme am sakramentalen Leben der Kirche. Daher auch die hohen moralischen Forderungen der Kirche dem Ikonenmaler gegenüber. Unter diesen Voraussetzungen stellt die Schöpfung des Ikonenmalers einen vollkommenen Gegensatz dar zu den Schöpfungen der abendländischen religiösen Kunst. Die Aufgabe des Ikonenmalers hat viel mit der Aufgabe des Priesters gemein. Wie der Priester die liturgischen Texte weder nach eigenem Gutdünken ändern, noch in ihre Vorlesung irgendeine persönliche Erregung einfließen lassen darf, die den Gläubigen seinen persönlichen Standpunkt aufdrängen könnte, so muß auch der Ikonenmaler sich streng an das von der Kirche gutgeheißene Vorbild halten ohne einen persönlichen Inhalt hineinzutragen. Man sollte meinen, dann müssten alle Ikonen ziemlich über einen Leisten geschlagen sein. Aber mitnichten! Man hat schon lange festgestellt, daß es keine Ikonen gibt, die sich gleichen. Es werden von Ikonen nicht Kopien, sondern Wiederholungen, d. h. freie schöpferische Übersetzungen gemacht (Thema con variationi). Auch gibt es verschiedene Stile und Schulen. Die berühmteste ist ja die von Novgorod, aus der unsere Ikonen sind.

  8.   Die Theologie der Ikonen

Man kann bei allen Ikonen sagen: Der Theologie im Worte steht die Theologie im Bilde gegenüber. Alle Ikonenmaler aber stehen vor einem unlösbaren Problem: Mit Mitteln der erschaffenen Welt, auszudrücken, was unendlich über das Geschöpfliche erhaben ist. Aus all dem ist zu ermessen, welch eine Verehrung der Ikone gebührt und erwiesen wird. Ist doch nach dem Glauben des Ostens das Dargestellte und der Dargestellte irgendwie in der Ikone gegenwärtig. Der hl. Basilius schreibt: „Wir schreiben vor, die hl. Ikone unseres Herrn Jesus Christus zu verehren und ihr dieselbe Ehre zu erweisen wie den Büchern der heiligen Evangelien. Wie das Wort in Buchstaben> so verkündet in der Tat die Malerei dasselbe durch die Darstellung der Farben. Wenn also jemand die Ikone des Christus-Heilands nicht verehrt, dann soll er auch nicht imstande sein, seine Gestalt bei seiner Wiederkunft zu verehren.“ Wie das Wort der hl. Schrift ein Bild ist, so ist auch das Bild ein Wort. (Die Ikone spricht zu uns.) Was das Wort durch Gehör mitteilt, zeigt die Malerei schweigend durch die Darstellung.

  9.   Die Maltechnik der Ikonen

Was nun unsere Ikonen auszeichnet ist, dass sie der gelungene Versuch sind, die leuchtenden und durchsichtigen, aber vergessenen Farben neu zu entdecken. Der Ikonograph hat Jahre des Studiums dazu gebraucht, um Leben und Sprache der Materialien zu verstehen und im Sinne des Gottesdienstes zu verwenden. Manche Stellen der Bilder sind bis zu fünfzehnmal geschliffen und mit immer neuen Lasurfarben übermalt worden. Daher ihre Leuchtkraft. So hoffen wir, daß dieses Werk nicht nur ein Stück Ökumene sei, Brückenschlag zu den östlichen Brüdern, sondern daß es auch dazu beitrage, einmal die ewige Schönheit ohne Bild und Gleichnis von Angesicht zu Angesicht zu schauen.

(Nach Ouspensky/Lossky „der Sinn der Ikonen“)