Das Weihnachtsfest aus ostkirchlicher Sicht
- Dr.R..Hotz, Zürich, in „Der Christliche Osten“ XLVII/1992/6 -
„Du wurdest in einer Krippe verborgen geboren, aber der Himmel kündigte Dich dem ganzen Universum an, indem er sich, o Erlöser, des Sterns bediente. Dieser hat Dir die
drei Magier (Könige, Weisen) herbeigerufen, die Dich gläubig anbeteten. Wie Du Ihnen Erbarmen erwiesest, habe auch Erbarmen mit uns.“
(Große Vesper von Christi Geburt..)
Das christlich überhöhte, einst heidnische Fest der Wintersonnenwende, an welchen wir der Geburt des Herrn gedenken, hat im Osten niemals die gleiche Popularität – geschweige
Kommerzialisierung und Verweltlichung - erlangt wie das westliche Weihnachtsfest. Und das ist kein Zufall, denn im Abendland wird vor allem das Mensch sein des Gottessohnes Jesus Christus hervorgehoben (man
braucht nur die Bildzyklen in unseren Kirchen zu betrachten, die sich vorwiegend mit dem irdischen Leben des Jesus Christus befassen). Der Osten hat demgegenüber stets die Gottheit Christi ins Zentrum
seiner Betrachtung gestellt (wie auch die Darstellung von Christus als dem göttlichen All- und Weltenherrscher = Pantokrator – in der Apsiskuppel östlicher Kirchengebäude augenfällig beweist).
Dementsprechend ist Ostern – der Sieg über den Tod – die Frohbotschaft über die Auferstehung unseres Messias und Erlösers Jesus Christus stets jenes Fest geblieben, das Mittelpunkt
– wesentlichstes Hochfest der Christenheit und das die Herzen östlicher Gläubigen am tiefsten bewegt.
Das Geburtsfest des Herrn Jesus Christus, die Menschwerdung Gottes, hat auch erst auf dem Weg über Rom Eingang in die östliche Liturgie (schriftlich festgelegte Gottesdienstordnung) gefunden, wo
es alsbald seine eigene Prägung erhielt. Ursprünglich war es nämlich am 6.Januar beim Fest der Theophanie (außergewöhnlich, zeitlich begrenzte Gottes-Erscheinung) zusammen mit allen anderen
Gotteserscheinungen gefeiert worden. Und diesen Charakter der Gotteserscheinung behielt es auch, als es nach 378 n.Chr. auch in Byzanz als eigene Kirchenfest begangen wurde.
Während im Abendland Weihnachten mehr als historisches Gedächtnis
herausgestellt wird, betont das Morgenland bewusst die ideelle und dog-matische (lehr-, satzungs-, glaubensgemäß) Seite des
Geschehens.
Im Zentrum steht die geheimnisvolle Geburt aus einer Jungfrau als Zeichen für die ungeschmälerte Gottheit Jesus Christi. Aus diesem Grunde nimmt auch die Jungfrau auf den Weihnachtsikonen stets
den zentralen Platz in der Mitte des „heiligen Bildes“ ein. Aus östlicher Sicht offenbart sich in der Menschwerdung des Herrn (Gottes) der göttliche Plan zur Erlösung der Menschen und der ganzen
Schöpfung, den bereits die Propheten des Alten Testaments angekündigt hatten. Aus diesem Grund werden in der Weihnachtsvigil (lat., Nachtwache, vorangehende Tage, vorausgehende Nacht vor den großen Festen)
auch alle diese Texte vorgetragen.
Weihnachten ist solcherart nicht nur ein „niedliches Geburtstags- und Familienfest“, das sich in der Betrachtung des göttlichen Kindes in der Wiege erschöpft, sondern vielmehr eine
Manifestation (Offenbarung, Erscheinung des Unendlichen – hier: Göttlichen - im Endlichen – hier: Menschlichen) der Macht und der Herrlichkeit Gottes und ein Ausdruck seiner unendlichen Liebe zu uns
Menschen. Deshalb vereinen sich bei der Feier von der Geburt Jesus Christi nicht nur die Menschen, sondern auch die Gestirne und die Engel zum Lobpreis des Allmächtigen und seines göttlichen Erlösungsplanes.
„ An diesem Tage ist Christus in Bethlehem von einer Jungfrau geboren worden. An diesem Tage nimmt derjenige, der keinen Anfang kennt, seinen Anfang und das Wort wird Fleisch. Die
Himmlischen Mächte jubeln, und die Erde freut ich mit den Menschen. Die Magier bringen ihre Gaben dar, die Hirten verkünden das herrliche Wunder. Und wir rufen ohne Unterlass: Ehre sei Gott in der Höhe,
Friede auf Erden Und den Menschen ein
Wohlgefallen!“
(Gebet des Kirchenvaters Johannes von Damaskus)
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